Tages-Anzeiger Online vom 21.10.2008  
Thomas Hasler

Eine 31-jährige Frau würgt ihren Sohn in der Absicht, ihn zu töten. Der Grund, warum das 17 Monate alte Kind überlebte, ist für das Strafmass entscheidend.

Fortsetzung vom 24.10.2008

Das Geschworenengericht ist seit Dienstag mit einem schwierigen und menschlich tragischen Fall konfrontiert. Eigentlich ist die heute 31-jährige Schweizerin geständig. «Was passierte, passierte mit Tötungsabsicht», sagte sie gegen Ende eines langen Tages. Ein Detail im Tatablauf aber sieht sie anders.

Am 25. Oktober 2005 war es in einer Klotener Wohnung wieder einmal zum Streit gekommen zwischen der Mutter des 17 Monate alten Kindes und dem leiblichen Vater. Wie üblich schmissen sich die Eltern gegenseitig Vorwürfe, Beleidigungen, Demütigungen und Beschimpfungen an den Kopf. Streitgrund war offenbar das Besuchsrecht des Vaters.

Als dieser mit dem Vormundschaftsgericht und der Wegnahme des Sorgerechts drohte, geriet sie nach eigenen Angaben in Angst und Panik. Lieber wollte sie ihren Sohn und dann sich umbringen, als den Kleinen seinem Vater zu überlassen. «Schau mal her, so geht das», soll sie gesagt haben. Sie legte ihren Sohn im Wohnzimmer auf den Boden und würgte ihn am Hals, bis er rot anlief. Der Vater, zuerst völlig perplex, ging dazwischen und konnte die Mutter wegstossen. Der Knabe wurde nicht lebensgefährlich verletzt und wird nach Meinung der Spezialisten keine bleibenden Schäden davontragen.

Der Blick in seine Augen
Vor Geschworenengericht umstritten sind zwei Details in der Anklageschrift. Der Frau wird vorgeworfen, das Kind mit beiden Händen und so lange gewürgt zu haben, bis sie vom Vater weggestossen wurde. Die Frau behauptet, sie habe nur mit einer Hand gewürgt. Zudem habe sie den Würgegriff gelockert, bevor sie weggestossen worden sei. Als sie beim Würgen in die Augen des Kleinen blickte, habe sie nur Angst, Entsetzen und Unverständnis gesehen. Da sei ihr bewusst geworden: «Das kann, darf und will ich nicht tun.»

Der Unterschied in den Versionen ist entscheidend. Zwar droht der Frau in beiden Fällen eine Verurteilung wegen versuchter vorsätzlicher Tötung. Stimmt die Version der Anklage, kann das Gericht die Strafe mildern, weil es beim Versuch geblieben ist. Stimmt aber die Version der Angeklagten, dann liegt wohl ein so genannter «Rücktritt und tätige Reue» vor. Führt ein Täter die strafbare Handlung aus eigenem Antrieb nicht zu Ende, kann das Gericht sogar von einer Bestrafung absehen.

Drei Kinder – drei Väter
Obwohl die 31-Jährige am ersten Prozesstag über vier Stunden zu ihrer Person befragt wurde, blieb doch ein eigentümlich unscharfes Bild der Frau zurück. Fast eineinhalb Jahre behauptete sie, der Vater, der deswegen auch verhaftet wurde, sei der Täter. Die Frau, Mutter dreier Kinder von drei verschiedenen Vätern, hat eine schwere, kaum therapierbare Persönlichkeitsstörung. Nach eigenen Angaben ab ihrem zwölften Lebensjahr während zweier Jahre vom Partner einer Tante sexuell missbraucht, kam sie früh mit verschiedenen Drogen in Kontakt. Ihre Arbeitsstellen im Pflegebereich verlor sie, weil sie den Pensionären Geld stahl.

Ihr erstes Kind lebt bei seinem Vater. Ihr drittes Kind gab sie nach der Geburt zur Adoption frei. Ihr zweites Kind wollte sie lieber tot sehen als verloren geben. «Ich wollte ihn doch nur beschützen», sagte sie weinend. Am Donnerstag wird die Psychiaterin die Frage nach der Schuldfähigkeit beantworten.