Unter diesem Titel veröffentlicht die NZZ am 2. September 2009 die Vernehmlassungsantwort des schweizerischen Anwaltsverbandes.
Lesen Sie den Artikel und die Stellungnahme von GeCoBi hier:

Zum Nachteil der Kinder
NZZ vom 2. September 2009

Vorlage über die gemeinsame elterliche Sorge schafft neue Konflikte

Von der Vernehmlassungskommission des Schweizerischen Anwaltsverbandes*

Der Bundesrat will für geschiedene und unverheiratete Eltern die gemeinsame elterliche Sorge als Regel einführen. In Anwaltskreisen stösst die  Vorlage auf Widerstand: Das Vorhaben orientiere sich zu stark an der Gleichstellung von Vater und Mutter und wirke sich für den  Hauptbetreuenden Elternteil und die Kinder nachteilig aus.

Der Bundesrat will die gemeinsame elterliche Sorge bei geschiedenen und unverheirateten Eltern als gesetzlichen Regelfall vorsehen. Dies soll selbst bei strittigen Scheidungen oder bei unverheirateten Eltern, die auf verschiedenen Kontinenten leben, gelten. Die elterliche Sorge wird nur dann einem Elternteil alleine zugewiesen, wenn das Kindesverhältnis nicht durch Anerkennung, sondern im Rahmen eines Vaterschaftsprozesses festgestellt wird oder wenn der Scheidungsrichter den Entzug des Sorgerechts bei einem Elternteil als für das Wohl des Kindes erforderlich erachtet. Damit schlägt der Bundesrat eine Gesetzesnovelle vor, die das gemeinsame Sorgerecht radikaler durchsetzt als die meisten übrigen europäischen Staaten.

Idealisierte Vorstellungen

Die vom Schweizerischen Anwaltsverband eingesetzte Vernehmlassungskommission bedauert, dass nicht das Kindeswohl, sondern die rechtliche Gleichstellung von Vater und Mutter zum primären Ziel der Vorlage erklärt wurde. Die Förderung des Kindeswohls verkommt bei näherer Betrachtung gar zum blossen Vorwand. Durch die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall sollen die Eltern zu einer besseren Kommunikation und zu mehr Kooperation in Bezug auf das Kind gezwungen werden. Ob es gelingen kann, die Eltern im gewünschten Sinne zu "erziehen", muss aber ernsthaft in Frage gestellt werden.

Die positiven Wirkungen der geplanten Änderung auf das Kindeswohl werden im Bericht zum Vorentwurf idealisiert. Es ist ein Irrglaube, zu meinen, dass künftig sämtliche oder wenigstens die Mehrheit der Eltern nach der Ehescheidung allein zufolge der gemeinsamen elterlichen Sorge einträchtig miteinander kooperieren können. Der Bericht zum Vorentwurf räumt ein, dass eine einvernehmliche Regelung der Eltern der Schlüssel für den praktischen Erfolg des gemeinsamen Sorgerechts ist. Aus dem Gesetzestext geht dies allerdings nicht hervor. Dieser erteilt dem Richter keine Richtlinien für seinen Entscheid, die elterliche Sorge allenfalls einem Elternteil alleine zuzuweisen. Aus unserer Sicht müsste der Richter ausdrücklich verpflichtet werden, in jedem Scheidungsfall eine Prüfung des Kindeswohls vorzunehmen und anhand eines Kriterienkatalogs über die elterliche Sorge zu entscheiden.

Zwingend sollte die elterliche Sorge beiden Elternteilen nur dann gemeinsam belassen werden, wenn ihre Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit in Kinderbelangen erstellt ist und sie sich auf einen Betreuungsplan geeinigt haben.

Weitreichender Zwang zur Einigung

Ob die gemeinsame elterliche Sorge praktikabel ist und ob sie dem Kindeswohl dient, hängt nicht unwesentlich davon ab, welche Kompetenzen dem Begriff der elterlichen Sorge zuzuordnen sind. Aus dem Vorentwurf muss abgeleitet werden, dass mit Ausnahme der alltäglichen und dringenden Angelegenheiten alle übrigen Fragen von den Eltern gemeinsam zu entscheiden sind. Dieser weitreichende Zwang zur Einigung führt zu einer erheblichen Behinderung desjenigen Elternteils, der sich hauptsächlich um die Kinder kümmert. Ins Gesetz sollte deshalb eine alltagstaugliche Auflistung der zwingend gemeinsam zu treffenden Entscheide aufgenommen werden. Alle übrigen Entscheide sollte der hauptbetreuende Elternteil autonom treffen können, wie beispielsweise die Festlegung des Wohnsitzes in der Schweiz.

Der Vorentwurf ignoriert die Tatsache, dass selbst Eltern, die sich einvernehmlich für die gemeinsame elterliche Sorge entschieden haben, zum grösseren Teil ein traditionelles Familienmodell leben, bei dem die Mutter im Alltag für die Kinder zuständig ist und der Vater die Kinder besucht. Bereits heute würde ein Drittel dieser Mütter im Nachhinein die alleinige elterliche Sorge bevorzugen. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass dieser Anteil massiv steigen wird, wenn die gemeinsame elterliche Sorge praktisch allen Eltern aufgezwungen wird.

Der Vorentwurf will auch unverheirateten Eltern die gemeinsame elterliche Sorge automatisch einräumen, sofern das Kind vom Vater anerkannt wird. Dabei wird vom Idealfall des Konkubinats ausgegangen. Ob Kinder unverheirateter Eltern in der Mehrheit aller Fälle tatsächlich mit beiden Eltern zusammenleben, ist statistisch nicht belegt und deckt sich nicht mit den Erfahrungen in der Praxis. Auch bei unverheirateten Eltern ist der Automatismus des gemeinsamen Sorgerechts daher nicht angebracht. Indessen soll es möglich sein, dass die Eltern das gemeinsame Sorgerecht beantragen.

Strafandrohung gegen Elternteil

Neu soll der Inhaber des Obhutsrechts bei einer Verweigerung des Besuchsrechts bestraft werden. Eine Strafandrohung kann durchaus positive  Wirkungen zeitigen und wird deshalb, mit Vorbehalten, begrüsst. Es darf aber nicht darüber hinweggesehen werden, dass die Weigerung, den  andern Elternteil zu besuchen, vielfach vom Kind ausgeht und der hauptbetreuende Elternteil in diesen Fällen zu Unrecht einem Strafverfahren  ausgesetzt sein könnte. Zur Vermeidung von unnötigen Strafverfahren sollte deshalb das Antragsrecht der Kindesschutzbehörde vorbehalten werden.Befremdend ist, dass die Strafbestimmung nur die Konstellationen mit alleinigem Sorgerecht im Visier hat und die Verweigerung der  Kindsübergabe bei gemeinsamer elterlicher Sorge, wo das Besuchsrecht ja von der gemeinsamen Obhut verdrängt wird, straffrei bleibt. Die Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts nach der Scheidung ist als Regelfall und Zielsetzung grundsätzlich erstrebenswert. Die Vorlage ist als Ganzes jedoch zu wenig durchdacht. Der Vorentwurf schafft neue Konflikte, ohne bestehende zu lösen. Den Preis für das angestrebte Ideal  hätten vor allem die hauptbetreuenden Elternteile und die Kinder zu bezahlen. Der Vorentwurf bedarf deshalb unbedingt der gründlichen Überarbeitung.

* Die Vernehmlassungskommission des Schweizerischen Anwaltsverbands zum Thema elterliche Sorge setzt sich aus folgenden Fachanwälten zusammen: Jasmin Brechbühler, Kai Burkart, Claudia Giusto, Hedi M´erillat-Holenstein, Andrea Metzler, Helen Schmid, Bettina von Koenig.

 

Leserbrief des Präsidenten GeCoBi: (am 8.9.2009 gedruckte Version) 
Nachteil für Kinder oder für Anwälte?
Die Kritik des Schweizerischen Anwaltsverbands an der geplanten gemeinsamen elterlichen Sorge (NZZ 2. 9. 09) könnte den Eindruck erwecken, dass gewisse Vertreter und Vertreterinnen der Anwaltszunft ihre lukrativen Kampfscheidungsfälle davonschwimmen sehen.

Die gemeinsame elterliche Verantwortung, wie sie Elternorganisationen schon seit langem fordern, umfasst weit mehr als bloss das gemeinsame Sorgerecht. Sie umfasst auch die Verantwortung, sich im Falle von Trennung und Scheidung vernünftig und gemeinschaftlich zu einigen. Zu diesem Zweck sollen Kampfmittel wie Gerichtsverfahren mit anwaltlicher Vertretung möglichst vermieden werden, dies zugunsten von vermittelnden Verfahren wie Mediation oder Schlichtung.

Dass dies dem Schweizerischen Anwaltsverband nicht gefällt, ist offensichtlich. Das Kindswohl als Argument gegen die gemeinsame elterliche Verantwortung anzuführen, ist schon fast zynisch.

Internationale Studien zeigen, dass eine gleichwertige Beziehung zu beiden Elternteilen langfristig das Beste ist für Kinder. Kinder sind längst
nicht mehr Frauensache. Immer mehr Väter engagieren sich nach Kräften in der Kinderbetreuung und Erziehung.

Gleichzeitig verlieren immer noch Tausende von Kindern jedes Jahr ohne erkennbaren Grund ihre Väter, bloss weil unser überholtes Rechtssystem sie unbesehen den Müttern zuschanzt. Um diese einseitige Ausgangslage zu korrigieren, ist der Ansatz des gemeinsamen Sorgerechts als Regelfall gut geeignet.

Oliver Hunziker,
Präsident GeCoBi,
Schweizerische Vereinigung für gemeinsame Elternschaft (Zürich)

 
Leserbrief des Präsidenten GeCoBi: (Originale Version)

Zum Nachteil der Kinder?
Oder vielleicht zum Nachteil der Anwälte?

Könnte es vielleicht sein, dass hier gewisse Vertreter und Vertreterinnen der Anwaltszunft das Muffensausen kriegen, und ihre lukrativen Kampfscheidungsfälle davonschwimmen sehen?

Die gemeinsame elterliche Verantwortung, wie sie Elternorganisationen schon seit langem fordern, umfasst weit mehr, als bloss das gemeinsame Sorgerecht. Sie umfasst auch die Verantwortung, sich im Falle von Trennung und Scheidung vernünftig und gemeinschaftlich zu einigen. Zu diesem Zweck sollen Kampfmittel wie Gerichtsverfahren mit anwaltlicher Vertretung möglichst vermieden werden, dies zugunsten von vermittelnden Verfahren wie Mediation oder Schlichtung. Sie umfasst die Erkenntnis, dass Eltern Eltern bleiben, auch wenn sie als Paar getrennte Wege gehen.

Dass dies dem schweizerischen Anwaltsverband nicht gefällt ist offensichtlich. Tragisch hingegen ist, dass dieses offensichtliche Missfallen so deutlich erkennbar wird, dies mindert nämlich meines Erachtens die Qualität der im Artikel gemachten Aussage erheblich.

Wie immer argumentieren die Anwälte auch in diesem Falle mit dem sogenannten Kindswohl. Dass dieser Begriff eine hohle Phrase ist, welche zu jedem noch so missbräuchlichen Zweck verwendet werden kann, setzt der Sache noch die Krone auf. Bis zum heutigen Tag besteht keine einzige, allgemein gültige Definition des Begriffes Kindeswohl. Ihn hier zur Verweigerung der gemeinsamen elterlichen Verantwortung zu benutzen ist schon fast zynisch.

Internationale Studien anerkannter Fachleute zeigen schon längst, dass eine gleichwertige Beziehung zu beiden Elternteilen langfristig das Beste ist für Kinder. Diese Beziehungen zu erhalten sollte die hehre Pflicht der Staatsorgane sein, stattdessen treiben noch immer täglich geldgierige Anwälte ihre Mandanten (und vorallem Mandantinnen) in eine Kampfscheidung welche nach mehreren Verfahren und dem ausgiebigen Waschen schmutziger Wäsche mit Sicherheit dazu führt, dass die Eltern jegliche Kommunikationsebene verlieren.

Kinder sind längst nicht mehr Frauensache, wie dies immer und immer wieder betont wird. Immer mehr Väter engagieren sich nach Kräften in der Kinderbetreuung und Erziehung. Immer mehr Kinder haben wirklich Väter. Gleichzeitig verlieren immer noch tausende von Kindern jedes Jahr ohne erkennbaren Grund ihre Väter, bloss weil unser überholtes Rechtssystem sie unbesehen den Müttern zuschanzt.
Um diese einseitige Ausgangslage zu korrigieren, ist der Ansatz des gemeinsamen Sorgerechts als Regelfall gut geeignet.

Von der Fachkommission des schweizerischen Anwaltsverbandes hätte ich mir mehr Offenheit und Weitblick erwartet.
Dass der Blick auf das eigene Portemonnaie mit dem Ruf nach dem Kindswohl verbrämt wird, zeigt dass hier noch ein weiter Weg zu gehen bleibt.

Gut, dass es unter den Mitgliedern des Anwaltsverbandes auch offenere und modernere Vertreter gibt.

Es bleibt zu hoffen, dass unsere Politiker, obwohl meist ebenfalls aus den Reihen der Juristen stammend, sich bei der Abstimmung im Rat eher an den realen Begebenheiten orientieren werden, statt an den kurzsichtigen Interessen der Anwaltskaste.

Oliver Hunziker
Präsident GeCoBi
Schweizerische Vereinigung für gemeinsame Elternschaft