(c) Landbote 28. Februar 2011, Karin Landolt
Viele Scheidungsväter fühlen sich benachteiligt und kämpfen für das gemeinsame Sorgerecht. Dass sich die entsprechende Gesetzesrevision erneut verzögert, macht sie zornig. Wie berechtigt sind aber die Anliegen der Väter tatsächlich?

Die Aktion «Schick en Stei»  ist offenbar ziemlich in die Hose gegangen. Bei Bundesrätin Sommaruga sind bis letzte Woche nur gerade drei Steine eingetroffen, wie man aus ihrem Vorzimmer hört. Viel Wirbel um ein paar Einzelfälle im Sorgerechtsstreit?

Oliver Hunziker: Es ist spannend, was Sie erfahren haben. Wir haben effektiv 500 Steine ans Bundeshaus geschickt, weitere 900 wurden von unseren Mitgliedern und Sympathisanten bestellt. Doch wir haben die Lieferung unterbrochen, da man im Bundeshaus nach der ersten Ladung sehr nervös wurde. Wir beschlossen, Frau Sommaruga stattdessen die gesammelten Briefe mit fünf Steinen symbolisch für die 1400 Steine zu überreichen. Bedingung war, dass sie mit uns ins Gespräch tritt. Das hat sie überraschend schnell getan. Im April werden wir zusammen mit anderen Organisationen an einem runden Tisch sitzen und mithelfen, dass es mit dem gemeinsamen Sorgerecht als Regelfall vorwärtsgeht. Unsere Aktion war ein voller Erfolg. Die drei vom Bundeshaus genannten Steine sind vermutlich von Einzelnen unabhängig direkt geschickt worden.

Sommaruga hat Sie also schon eingeseift? Die Gesetzesvorlage wird mit Einberufung eines Runden Tisches kaum schneller umgesetzt werden.

Sie hat uns positiv überrascht. Wir hatten uns auf wochenlange Mahnwachen auf dem Bundesplatz eingestellt, und sie erschien schon am ersten Tag bei uns. Sie zeigte sich sehr offen, ehrlich berührt von unserem Anliegen und hat uns Männerorganisationen in die Diskussion eingeladen. Ein faires Angebot, finde ich. Ich fühle mich nicht eingeseift, sondern ernst genommen.

Glauben Sie, Sie haben mit Ihrer einigermassen sympathischen Aktion mehr erreicht als die «Antifeministen», welche die Sorgerechtsfrage ebenfalls stark thematisieren?

Seit ich für die Sorgerechtsfrage kämpfe, verfolge ich einen pragmatischeren Weg und bin nicht einverstanden mit der Vorgehensweise der «Antifeministen». Von deren Polemik halte ich gar nichts. Wir wollen keinen Geschlechterkampf, sondern ein Miteinander beim Suchen von guten Lösungen. Pflastersteine schicken ist zwar auch ein mega starkes Symbol, aber wir gehen keinen Millimeter aggressiv vor, das war nie meine Handschrift und wird sie auch nie sein.

Man bekommt im teilweise aggressiven Sorgerechtskampf verbitterter Männer das Gefühl, Ex-Frauen seien generell böswillige Menschen …

… eine blödsinnige Einstellung …

… kommt dazu, dass für das politische Dossier eine Frau zuständig ist. Macht das Männern Angst?

Den Männern in meinem Umfeld nicht. Wir stellen einfach fest, dass es in unserem System Benachteiligungen für die Scheidungsväter und ungerechtfertigte Vorteile für die Mütter gibt. Damit sage ich nicht, dass Frauen böse sind. Es ist das System, das Schlupflöcher bietet, eine Frau kann das ausnutzen, ein Mann nicht. Was noch lange nicht heisst, dass dies alle Frauen tun.

Welche Schlupflöcher meinen Sie?

Wenn ein Mann nach der Scheidung das Sorgerecht will, ist er auf das Ja seiner Ex-Frau angewiesen. Hat ein Vater sogar handfeste, breit abgestützte Argumente, genügt es, dass die Frau sagt, das stimme nicht. Und schon ist sein Antrag vom Tisch. Vormundschaftsbehörden, Beistände und Richter gewichten die Meinung der Mutter sehr stark, während der Vater nicht ernst genommen wird. Bei meiner Scheidung vor sieben Jahren wollte ich erreichen, dass ich meine Kinder oft bei mir habe, ich erreichte mein Ziel nicht. Dass ich dennoch das gemeinsame Sorgerecht erhielt, ist nur dem Umstand zu verdanken, dass sich mir meine Ex-Frau letztlich nicht in den Weg stellte. Hätte sie dies gewollt, hätte ich nichts mehr zu sagen gehabt. Insofern bin ich persönlich noch einigermassen gut weggekommen. Viele Väter trifft ein härteres Schicksal.

Das hat doch aber auch damit zu tun, dass es in den meisten Fällen die Mutter ist, die sich vor der Trennung intensiver um die Kinder kümmert. Es ist doch nachvollziehbar, dass ihre Meinungen mehr ins Gewicht fallen.

Das ist richtig. Und doch ist es ein Denkfehler, weil es heute nicht mehr der Tatsache entspricht, dass das vorgegebene Schicksal einer Frau die Mutterrolle ist. Sie kann heute frei wählen, ob sie zu Hause bleiben oder berufstätig sein will …

Ganz so einfach ist es aber nicht, wird doch gerade von der berufstätigen Mutter (und nicht vom Vater) erwartet, dass sie zu Hause bleibt, wenn ein Kind krank ist. Und das ist nur eines von vielen Beispielen aus dem Alltag.

Völlig klar. Die Bereitschaft der Väter ist tatsächlich noch nicht so gross, das lässt aufhorchen. Aber es fehlt vor allem an der Bereitschaft des Systems und der Arbeitgeber. Auch nach der Trennung wird der Vater in die Ernährerrolle gezwungen, während die Mutter ebenfalls in ihre Rolle als Mutter gezwungen wird. Beides ist falsch. Meine feste Meinung ist: Bei der Trennung muss alles neu verhandelt werden, sowohl die Betreuung als auch die Finanzierung.

Schwierig wird das für Frauen, die sich jahrelang zugunsten der Kinder aus dem Berufsleben zurückgezogen haben.

Aber diese Frauen gibt es immer weniger. Ich kenne praktisch keine Frau mehr, die nicht einen Fuss in der Berufswelt behält. Auch sind sie heute bestens ausgebildet.

Es gibt zwar immer mehr engagierte Väter, doch noch immer sind sie in der Minderheit. Müsste man nicht auch einmal – von Männerseite – laut an die Väter appellieren, die sich zu wenig um die Betreuung der Kinder kümmern?

Das tun wir, wir sind aber vor allem mit Vätern in der Scheidungsphase in Kontakt. Viele werden sich ihrer Rolle als Vater – leider – erst in dieser neuen Situation bewusst. Das ist zwar spät, zugegeben. Und doch haben sie etwas gelernt und sind bereit, sich und ihre Rolle zu ändern. Ist es denn richtig, wenn ihnen das System nun sagt: «Sorry, zu spät, Pech gehabt»? Das finde ich schlimm. Sie wollen Verantwortung für ihre Kinder übernehmen und man lässt sie nicht.

Die Ex-Frau hätte die Unterstützung während der Partnerschaft brauchen können. Vielleicht war dieser Mangel an Hilfe auch ein Trennungsgrund?

Natürlich sage ich nicht, die Väter machen alles richtig. Mir aber liegt auf dem Herzen, dass die heutige Sorgerechts- und Obhutsregelung dem klassischen Klischeemann, der sich nie um seine Kinder kümmerte und nach der Scheidung mit einer 20-Jährigen ans andere Ende der Schweiz zieht, nicht wehtut. Leiden müssen aber Kinder, deren Väter es anders machen wollen und echte Väter sein wollen.

Scheidungsväter klagen, sie würden nach der Scheidung bis aufs Existenzminimum geschröpft. Das ist sehr einseitig. Es sind doch stets die Mütter, die zum Sozialamt gehen müssen, wenn das Budget knapp ist.

Immerhin haben sie die Möglichkeit, zum Sozialamt zu gehen, und bekommen den notwendigen finanziellen Ausgleich, auch wenn das etwas Entwürdigendes ist. Das Geld fehlt einfach, und zwar beim Vater und bei der Mutter. Die Lösung muss aber für beide aufgehen. Viele Juristen sagen aber, die Sorgerechtsfrage sollte nicht mit der Frage der Unterhaltszahlung gekoppelt werden, die beiden Fragen gehörten getrennt behandelt. Doch der Bundesrat verzögert die neue Sorgerechtsgesetzgebung jetzt wegen offener Fragen bei der Unterhaltszahlung.

Braucht es das Gesetz überhaupt noch? Bereits 40 Prozent der geschiedenen Eltern entscheiden sich ohne Gesetzesvorgabe für die gemeinsame Sorge, bei den Konkubinatspaaren sind es noch mehr. Eine grosse Zahl von Müttern steht offenbar hinter Ihrem Anliegen.

Ich freue mich über diese Entwicklung. Ob es ein Gesetz braucht? Jein. Gesetze werden ja nicht für den Grossteil der Gesellschaft gemacht, der sich ohnehin an gängige Regeln hält. Gesetze braucht es für jene, die es nicht tun. Ein Gesetz gibt den Massstab vor, beim Sorgerecht lautet der Massstab, dass beide Eltern für ihre Kinder verantwortlich sind und bleiben.

Es gibt viele Frauen, die Ihnen nicht glauben, dass ein Gesetz plötzlich bessere Väter hervorbringt.

Bei den Juristen gibt es den Satz «Das Gesetz folgt der Gesellschaft», aber auch die Umkehrung «Die Gesellschaft folgt dem Gesetz». Der Gesetzgeber kann Botschaften aussenden, denen derjenige Teil der Gesellschaft folgt, der Richtlinien braucht. Bei der Geschwindigkeitsregelung auf der Autobahn fahren zwei Drittel maximal 120 Stundenkilometer, ohne dass Tafeln nötig wären, 10 Prozent fahren schneller und lassen sich auch von 100 Tafeln nicht beeindrucken. Aber die übrigen 30 Prozent können wir mit gesetzlichen Botschaften abholen, und um diese geht es. Auch beim Sorgerecht. Es wird immer Eltern geben, die ungeachtet des Gesetzes auf den Schultern der Kinder streiten, doch es gibt andere, die sich mit dem Gesetz gut arrangieren wollen.

Sowohl Gegnerinnen wie Befürworter des gemeinsamen Sorgerechts als Regelfall benutzen oft den Begriff «Kindeswohl», wenn es ihrer Argumentation dient. Es gibt keine klare, juristische Definition dafür. Was verstehen Sie unter Kindeswohl?

Mir gefällt der französische Begriff «Le bienêtre de l’enfant» besser. Es geht auf jeden Fall darum, dass das Kind einen Anspruch hat, von beiden Elternteilen umsorgt zu werden. Das gemeinsame Sorgerecht ist darum ein Recht, das nicht für Väter oder Mütter, sondern für das Kind gemacht ist.