20 Minuten 19.11.2007 Tina Fassbind

Ein vierjähriges Mädchen spaziert mitten in der Nacht durch Zürich. Ihre Mutter war derweil im Ausgang. Wann verliert eine Rabenmutter in der Schweiz das Sorgerecht? 20minuten.ch hat nachgefragt.

 Es braucht viel, bis das Sorgerecht entzogen wird. (Bild: Keystone/Steffen Schmidt)

Bis in den Sonntagmorgen hinein hält die kleine Karolina die Stadtpolizei Zürich auf Trab. Die Mutter hat die Vierjährige als vermisst erklärt, nachdem sie um 5.30 Uhr nach Hause kam und ihre Tochter dort nicht vorfand. Kurz vor 9.00 Uhr wurde Karolina wohlbehalten bei Freunden der Familie gefunden. Unweigerlich stellt sich die Frage, wie so etwas passieren konnte und ob das Kind tatsächlich ganz alleine zu Hause war. Die Polizei prüft gegenwärtig, ob die Mutter ihre Obhutspflicht verletzt hat. Welche Konsequenzen hätte das für Mutter und Kind?

Judith Wyder, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Direktionsbereich Privatrecht beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, weiss, nach welchen Kriterien in der Schweiz das Sorgerecht entzogen wird.

Frau Wyder, wie viel braucht es, bis Eltern in der Schweiz das Kind entzogen wird?
Dazu braucht es sehr viel. Es muss schon etwas sehr Gravierendes passieren, bis es zu einem Entzug des elterlichen Sorgerechts kommt. Zunächst werden weniger einschneidende Kinderschutzmassnahmen ergriffen, sofern diese nicht von vornherein als ungenügend erscheinen. Kinderschutzmassnahmen sollen der konkreten Gefährdungslage angepasst sein und wenn immer möglich nur miminal in die Elternrechte eingreifen.

Wie sehen diese Kinderschutzmassnahmen aus?
Wenn ein Manko bei der Versorgung und Betreuung der Kinder festgestellt wird, kann der Familie beispielsweise ein Beistand zugewiesen werden. Diese Person hilft den Eltern bei der Bewältigung des Alltags mit den Kindern. Manchmal genügt es bereits, wenn man den Eltern Weisungen erteilt, die sie dann selbst umsetzen können. In härteren Fällen kommt es zu einem Obhutsentzug und zu einer Fremdplatzierung des Kindes.

Und wann muss ein Kind fremdplatziert werden?
Es kommt zu einer Fremdplatzierung, wenn der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden kann oder das Verhältnis zwischen Eltern und Kind so schwer gestört ist, dass das Verbleiben des Kindes im gemeinsamen Haushalt unzumutbar geworden ist. Wenn die Kinder beispielsweise völlig verwahrlost oder unterernährt sind. Dann werden diese Kinder in einer Pflegefamilie oder allenfalls in einer heilpädagogischen Einrichtung untergebracht.

Können die Eltern ihre Kinder dann noch sehen?
Je nach den Umständen kann ein Besuchsrecht eingeräumt werden und/oder die Kinder verbringen die Ferien mit den Eltern. Es gibt im Übrigen ganz unterschiedliche Möglichkeiten der Fremdplatzierung. Beispielsweise gibt es Kinder, die nur während des Tages ausserhalb des Elternhauses leben und am Abend zurückkommen. Andere verbringen einfach nur die Wochenenden mit den Eltern.

Wie kann man vorgehen, wenn man den Eindruck bekommt, dass ein Kind von den Eltern vernachlässigt wird?
Grundsätzlich kann jede Person solche Fälle bei der Vormundschaftsbehörde melden. Meistens gelangen die Informationen über Lehrer oder Ärzte an die Behörde. Sobald eine Meldung eingeht, ist die Vormundschaftsbehörde verpflichtet, die Situation zu überprüfen. Die Umsetzung der Gesetze ist kantonal geregelt.

Kommentar des VeV:

Dieser Fall zeigt exemplarisch, was unsere Mitglieder immer und immer wieder berichten. Auch wenn unsere Gesellschaft noch immer glaubt, dass Kinder bei der Mutter am besten aufgehoben sind, so ist es doch leider traurige Realität, dass dies nicht immer der Fall ist.
Gerne würden wir die Geschichte aus Sicht des Vaters hören. Wir haben unzählige Mitglieder, die uns immer wieder solche, oder ähnliche Geschichten erzählen. Dennoch ist die gängige Gerichtspraxis noch immer so, dass Müttern das Sorgerecht und Obhutsrecht praktisch unbesehen verliehen wird. Obhut kommt jedoch von hüten, nicht von alleine lassen.
Wie auch verschiedentlich in den Kommentaren zu diesem Artikel geschrieben wurde, hätte ein Vater unter solchen Umständen das Sorgerecht, ja sogar das Besuchsrecht unmittelbar verwirkt.
Deshalb ist es dringend nötig, dass die gemeinsame elterliche Verantwortung in der Schweiz zur Regel wird. Denn dann sind immerhin zwei Personen für das Kind verantwortlich, und nicht bloss eine.