Den nachstehenden Artikel habe ich beim Stöbern im Internet gefunden. Wenn man diesen Text liest, nimmt man an, es handle sich um eine aktuelle Seite aus der VeV Website.

Tatsächlich erschien dieser Artikel im Beobachter 25/1998 – vor bald 10 Jahren! Und seither hat sich nichts geändert!

Sorgerecht: Väter auf verlorenem Posten

Ueli Zindel / Beobachter 25 / 98

Bei Scheidungen wird das Sorgerecht fast immer der Mutter zugesprochen. Als letztes Mittel hilft im Streitfall der Vorwurf von sexuellen Übergriffen. Denn vor Gericht gilt: Im Zweifel gegen den Vater.

«Wenn wir es schön hatten, war es unwahrscheinlich schön. Wir hatten denselben Geschmack. Dieselben Freunde.»
Roger Weber lacht: «Dieselben Streitereien. Täglich.»

Vor sieben Jahren wurde Roger Weber von seiner Frau geschieden. Seine zwei Töchter hat er seit fünf Jahren nicht mehr gesehen.
Herbst 1991, Bezirksgericht Bülach. Kalter Saal, kühle Stimmung. Die vier Herren des Gerichts stehen vor einer schwierigen Entscheidung. Roger Weber, Kaufmann, und seine Frau haben vereinbart, dass ihre Kinder bei der Scheidung nicht auseinandergerissen werden sollen. Sie verlangen das gemeinsame Sorgerecht: eine unübliche Konvention. Die Richter beraten sich, befragen die Scheidungswilligen, beraten sich wieder. Nach fünf Stunden ist das Paar, das achtzehn Jahre verheiratet war, geschieden. Laut Entscheid war ursprünglich vorgesehen, dass die beiden Töchter – zehn und zwölf Jahre alt – bei der Mutter wohnen. Schon bald aber spielte sich ein, dass sie beim Vater blieben. Fast ein Jahr lang war Roger Weber «zu hundert Prozent für die beiden da». Die Kinder verweigerten den Kontakt zur Mutter von sich aus – systematisch. Webers Hausmannsrolle kam nicht über Nacht. Bereits Jahre vor der Scheidung hatte er bügeln, waschen, putzen gelernt. Seine geschäftlichen Tätigkeiten hatte er um 50 Prozent reduziert; dabei blieb es denn fürs erste. Doch Hausmann Weber war es «nicht geheuer», dass sich die Töchter von seiner Exfrau entfremdeten. Er bat das Jugendsekretariat um Hilfe. Auch aus praktischen Gründen: Die Doppelbelastung wuchs dem Vater über den Kopf. Außerdem bezahlte er für die Kinder doppelt – einmal, gemäss Gerichtsurteil, an seine Frau und darüber hinaus im eigenen Haushalt. Die Amtsstellen beruhigen Roger Weber, selbständigerwerbend, erhielt keine Arbeitslosenunterstützung. Mitte 1992 war das Geschäftsvermögen aufgebraucht. Wenig später wurde er sehr krank. Er bat die Mutter, die Kinder zu sich zu nehmen. In dieser Zeit «geschah etwas, was ich wohl nie je verstehen kann»: Nach den Ferien erklärten beide Kinder – die ältere Tochter kam in die Pubertät –, sie wollten ab jetzt bei der Mutter wohnen. «Wollte ich für sie kochen, hieß es, die Mutter mache gerade ihr Lieblingsmenü; sie seien zu müde; morgen seien Prüfungen – was weiß ich. War ich zu streng mit ihnen? Bei mir musste immer aufgeräumt sein…» Die Exfrau wollte nicht, dass die Kinder ihre Sachen beim Vater abholten. Sie kaufte ihnen alles neu. Die Amtsstellen beruhigten Weber: Es brauche schwerwiegende Gründe, um einem Vater das Sorgerecht zu entziehen. Webers Kinder wünschten, den Vater nicht mehr zu sehen. Weber akzeptierte, rief hie und da an, wollte keinen Druck machen. Dies dauerte ein Jahr. Eines Tages aber klingelte er an ihrer Haustür: «Spontan. Es war ein Schlüsselerlebnis. Sie kamen ans Fenster und sagten: » Sorgerecht wird aberkannt Anfang 1993. Webers Exfrau klagt auf Aberkennung des Sorgerechts. Widerklage und Berufung ziehen sich über zweieinhalb Jahre. Eine Gutachterin schreibt: «Obwohl die ältere Tochter sich gut ausdrücken kann, hat sie Mühe, uns zu erklären, warum sie nicht mehr beim Vater wohnen will.» Der Vater sei «in keinster Weise» irgendwelcher Übergriffe zu verdächtigen. Doch am 4. März 1996 wird Roger Weber das Sorgerecht aberkannt: Nach zweieinhalb Jahren Prozessieren, ohne Anwalt, ohne Geld, hatte er «einfach keine Kraft mehr», sich zu wehren. «Ich bin überflüssig», sagt Roger Weber – «und weiß nicht, warum.» Seine Töchter hat er 1993 das letzte Mal gesehen. Gesetze, Gefühle, Vereinbarungen, Verstöße: Für Außenstehende ist es schwierig, bei Trennungen «Schuldige» auszumachen. Oft bleiben viele Fragen. Nur soviel: Die Verletzungen sind groß; die Verantwortung wird oft vergessen. Kein Zweifel: Das erste Opfer ist das Kind. Gibt es ein Recht auf den eigenen Vater? Was ist mit den Rechten der Väter – wenn sie einmal geschieden sind? Männer wehren sich «Die vaterlose Gesellschaft» heißt ein «Sachbuch», das diesen Herbst auf dem Markt erschienen ist. Geschiedene Väter, lesen wir darin, seien «entrechtet»; sie würden systematisch «abgezockt». Schuld daran sei ein «feministischer Egoismus». Das erste Kapitel trägt den Titel: «Jetzt reicht’s!» «Mein Buch ist ein Plädoyer, ein Wutausbruch, eine Polemik», sagt Matthias Matussek, der Autor: «Kofferweise» habe er Zustimmung erhalten, Briefe von verstoßenen Vätern – aus Österreich, Deutschland, aus der Schweiz. Briefe, die «wahre Abgründe» offenbarten: «Die Männer sind in ihrer Identität verletzt. Und wenn sie sich beklagen, werden sie verhöhnt.» «Bei der überwiegenden Mehrheit der Scheidungsfälle verläuft der Kinderkontakt problemlos», sagt Vreni Schaller-Peter, Sozialarbeiterin bei der Pro Juventute. Sie ist Spezialistin für das begleitete Besuchsrecht. «Ein kleiner Teil ist außerordentlich konfliktbehaftet; leider rücken hier rechtliche Fragen in den Vordergrund.» Die Aufgabenteilung in der modernen Ehe verlaufe immer noch nach traditionellen Mustern. Dementsprechend urteilten die Richter. Sind Väter hier benachteiligt? Vreni Schaller-Peter bestätigt vorsichtig: «Die wenigen Väter, die Betreuungsarbeit geleistet haben, kommen sich im Konfliktfall sehr allein vor.» «Der Beklagte ist berechtigt, die Kinder jeweils am ersten und dritten Wochenende eines jeden Monats sowie am zweiten Tag der Doppelfeiertage Weihnachten und Neujahr sowie in geraden Jahren von Ostersamstag bis Ostermontag und in ungeraden Jahren von Pfingstsamstag bis Pfingstmontag auf seine Kosten zu sich oder mit sich auf Besuch zu nehmen.» Gegenseitige Vorwürfe Kurt und Astrid B. lernten sich während des Studiums kennen. Kurts Laufbahn verlief steil: Mit 37 war er bereits Professor für Altphilologie. 1989 löste das Paar seine Wohnung in der Schweiz auf und zog mit den beiden Kleinkindern an Kurts neuen Arbeitsort Rom. Für den Vater erfüllte sich damit ein Traum. Kurt war von seinen Aufträgen stark in Anspruch genommen. Seine Frau aber war unglücklich. «In vielen Dingen konnte sie sich nicht entscheiden. Was immer ich dann entschied, war falsch.» Sie erklärte, seinetwegen habe sie ihr Studium aufgegeben. Er erklärte, das sei nicht sein Problem. Beide fingen eine neue Beziehung an. Die Vorwürfe nahmen kein Ende. Nach sechs Jahren Ehe stand fest: Sie wollten sich trennen. Vor dem Richter ohne Chance Das Scheidungsurteil war für Kurt B. «in Ordnung». Doch die Streitigkeiten ließen nicht auf sich warten. Bereits gegen die befristete Obhutszuteilung an den Vater erhob die Exfrau Einspruch. Als Kurt B. die Kinder der Mutter das erste Mal zurückbringen wollte, war Astrid zum abgesprochenen Zeitpunkt nicht da. Die ersten Ferien mit seinen Kindern hatte der Vater seit Monaten abgemacht. Die Mutter unterband sie im letzten Moment. Astrid war nicht einverstanden, sich an den Zügelkosten aus Rom zu beteiligen; die Kinder, erklärte sie, werde Kurt so lange nicht sehen, bis diese Sache bereinigt sei. «Hie und da» kam auch wieder ein Termin zustande. Doch «bei jeder Kindsübergabe schrien wir uns an», sagt der Vater. Er drängte die Mutter, über Lehrer, Stundenplan und Besuchstage seiner Kinder informiert zu werden – vergeblich. Der Richter gab der Mutter recht. Dass der jüngere Sohn nur noch unregelmäßig zur Schule ging, erfuhr Kurt B. von der Tagesmutter. «Astrid erklärte immer wieder, ich brause ja nur auf, mit mir könne man nicht reden.» Das Jugendsekretariat riet dringend zur Paartherapie. Den vereinbarten Termin ließ Astrid platzen. Mit Hilfe von zwei Sozialarbeitern einigten sich Astrid und Kurt B. 1997 zu einer Weihnachtsregelung. Astrid hatte vehement darauf bestanden, die Kinder bereits ab 16 Uhr empfangen zu können. Nach vier Stunden einigten sich die Eltern schriftlich. «Kurt bringt die Kinder um 17 Uhr zur Mutter», stand auf dem Papier. Am Weihnachtstag, gegen Mittag, rief Astrid Kurt an – sie sei leider erst ab 20 Uhr zu Hause. Besuchsrecht nach Gutdünken Vereinzelt sah Kurt B. seine Kinder an Wochenenden. Die Sommerferien, obwohl abgemacht, kamen nicht zustande. Er vertiefte sich in seine Arbeit. Manchmal gelang ein Telefon mit der Tochter. Der Sohn, sagte die Mutter, wolle ihn nicht sprechen. Schließlich ging er wieder vor Gericht. «Es besteht die Tendenz der Beklagten», schrieb er, «das gerichtliche Besuchsrecht nach eigenem Gutdünken zu beschränken.» Das Gericht sprach dem Altphilologen weder die ausgefallenen Besuchstage zu noch das Recht, über schulische Details seiner Kinder informiert zu werden. «Väter sind machtlos», sagt Kurt B.: «…sobald die Gerichte über sie entscheiden.» Es folgt ein trockenes, tonloses Lachen. Nein. Es gehe ihm nicht gut. «Wie bitte? – Astrid? Ihr auch nicht.» Der Sohn, zehn Jahre alt, ist in psychiatrischer Behandlung. «Die Situation für die Väter ist in einer solcher Situation nicht leicht», sagt die Zürcher Scheidungsanwältin Erna Haueter. «Allerdings erleben viele Mütter es anders: nämlich dass die Männer erst dann beginnen, sich um die eigenen Kinder zu kümmern, wenn sie geschieden sind. Sobald der Verlust droht, entwickeln sie neue Energien.» «Kinder haben ein Urbedürfnis nach beiden Elternteilen», sagt Bernhard Hasler, Präsident des Vereins «Verantwortungsvoll erziehender Väter» (VeV). Tägliche Erfahrungen «Das bestehende Scheidungsrecht produziert in der Regel einen Teil, der verliert – und einen, der gewinnt. Das sind schlechte Voraussetzungen für den Umgang mit dem Kind!» Für Hasler gehört es zu den «täglichen Erfahrungen», dass geschiedene Väter ihre Kinder vermissen. Der VeV übt auch beratende Funktionen aus. Hasler versteht die Einrichtung als «Beitrag zur Gleichberechtigung – im Sinn der gemeinsamen Verantwortung». Kinder kommen ihm im Zusammenhang mit den Besuchsrechtfragen oft vor wie Zirkusartisten: «Sie balancieren zwischen zwei Lagern hin und her – allein gelassen, ohne Auffangnetz: Sie müssen es leugnen, sich auch am anderen Ende des Seils wohl zu fühlen. Es ist ein Trugschluss zu meinen, das Kind ertrage das Hin und Her besser, wenn der Kontakt mit den Vätern auf ein Minimum beschränkt wird.» Der VeV setzt sich dafür ein, dass das Paar eine neue Sprache findet – nicht als ehemaliges Liebespaar, sondern auf einer vernünftigen Ebene: als Eltern. Bernhard Hasler: «Im Konfliktfall wird oft vergessen: Kinder brauchen Väter! Auch Väter vergessen dies.» «Väter sind eine biologische Notwendigkeit, aber ein sozialer Zufall»: Dieser Satz beschließt ein neues Buch über die Vater-Kind-Beziehung. Die Geschichte aber, man ahnt es, ist alt. In der patriarchalischen Gesellschaft stand der Vater als Herr der Schöpfung an der Spitze der Großfamilie; die Frau war seine Dienerin. Die Industrialisierung entfernte den Vater vom Familienleben. Die Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz machte aus den meisten Männern, was sie heute oft sind: Freizeitväter. Die Mütter, da und dort überfordert, waren verantwortlich für das Kindswohl; oft genug allein. Erschreckende Zahlen Die Abwesenheit der Väter: Das Thema beschäftigte Statistikerinnen, Sozialwissenschafter, Erzieher, Theologinnen und Psychologen. Ihre Schlussfolgerungen sind übereinstimmend: Eine vaterlose Gesellschaft gefährdet sich selbst. Eine Studie aus den USA – sie stammt von einer Frau – brachte neulich erschreckende Zahlen zutage: Drei Viertel der Mörder, zwei Drittel der Vergewaltiger, ein hoher Prozentsatz aller Gefängnisinsassen sind ohne Vater im Haus groß geworden. Vaterlosigkeit – zahlreiche Studien stimmen hierin überein – hat den Verlust der Autorität, das Verschwinden von Vorbildern und oft den Triumph der Gleichgültigkeit zur Folge. Vorwürfe von Übergriffen Es gibt Scheidungsväter, die ihre Kinder nicht mehr sehen wollen; Scheidungsväter, die diese am Besuchswochenende bei Freunden deponieren; Scheidungsväter, die ihre Kinder abendelang vor dem Fernseher sitzen lassen. Der Beobachter-Beratungsdienst kennt zahlreiche solche Geschichten. Doch andere «Geschichten» gibt es auch. Mehrheitsverhältnisse sind schwer auszumachen. Es sieht aber ganz danach aus, dass sich die Väter mehr und mehr um ihre Kinder kümmern. Immer mehr Männer sind bei der Geburt ihrer Kinder dabei. Dieser Moment, das beweisen Untersuchungen, ist für die väterliche Bindung zentral. Immer mehr Väter besuchen Säuglingskurse; immer mehr denken über ihre Verantwortung nach. Tun dies auch Richter und Ämter? Man könnte es manchmal bezweifeln. «Kennen Sie eine Methode zur Wahrheitsfindung, dann nennen Sie sie mir bitte, ich bin sofort bereit»: Es ist ein mehrseitiger Brief, den Daniel K. am 14. Januar an die kantonale Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche schreibt. «Ich kann diese Art von Psychoterror auf die Länge nicht mehr ertragen. Die Kosten für einen Lügendetektor, einen Hypnotiseur würde ich tragen. Bitte kümmern Sie sich um Chantal H. Ich habe Angst um meinen Sohn.» Daniel K., Handelsvertreter, 32 Jahre alt, ist unehelicher Vater des sechsjährigen Xavier. Die Mutter Chantal H. und Daniel K. hatten sich «auseinandergelebt», als der Kleine zwei Jahre alt war. Der Vater besuchte seinen Sohn fortan täglich. Fast jedes Wochenende verbrachte Xavier bei ihm. Doch im Mai 1995 meldete die Mutter bei der kantonalen Beratungsstelle «Verhaltensauffälligkeiten» ihres Sohnes; er klage oft über «Fudiweh»; es bestehe der Verdacht auf sexuelle Misshandlung. Das Besuchsrecht wurde dem Vater sofort entzogen. Für Xavier wurde ein Beistand ernannt. K. schaltete einen Rechtsanwalt ein. Eine Psychologin wurde mit einem Gutachten beauftragt. Diese riet wenig später, den Vater nicht mehr mit dem Kind allein zu lassen. Die Vormundschaft ließ K. wissen: «Das begleitete Besuchsrecht kann Ihnen am ersten Sonntag des Monats von 9 bis 17 Uhr im Kinderhort gewährt werden; Sie haben die Ausübung dieses Anspruchs rechtzeitig zu melden.» Beweise fehlen Drei Monate später erkundigte sich K. nach dem Gutachten. Die Vormundschaftsbehörde erklärte, die Fachfrau, die zugleich Therapeutin der Mutter war, müsse erst ein Vertrauensverhältnis mit dem Kind aufbauen. Nach einem weiteren Vierteljahr erfuhr die Vormundschaftsbehörde, dass die kinderpsychiatrischen Stellen nicht zugleich Therapien und Gutachten durchführen könnten. Der Auftrag an besagte Psychologin entfiel. Sie hatte sich in den sechs Monaten fast ausschließlich mit der Mutter beschäftigt. Xavier hatte sie nur einmal gesehen. K.s Beschwerde gegen das begleitete Besuchsrecht wurde wenig später abgewiesen: Notwendige Abklärungen seien noch nicht abgeschlossen. K. schrieb an das Justizdepartement: «Warum hat man mich nicht verhört, wie ich dies gefordert habe?» Eine Antwort erhielt er nicht. Im Zweifel gegen den Vater Eine zweite Gutachterin lehnte ihren Auftrag mit der Begründung ab, nach so langer Zeit traue sie sich keine zuverlässige Abklärung mehr zu. Daniel K. sah Xavier unregelmäßig. Er hoffte auf die Aufklärung der Geschehnisse. Mit der Zeit schwächte Chantal H. ihren Vorwurf ab. Zu sexuellen Handlungen, sagt sie der Vormundschaft nun, sei es «vielleicht nie» gekommen. «Die Wahrheit», schreibt eine weitere Psychologin, «wird rückwirkend kaum je vollständig zu erfahren sein.» Sie hatte mit den zerstrittenen Eltern mehrere Gespräche geführt. Trotz der neuen Einschätzung der Mutter verbietet die Vormundschaft dem Vater gemeinsame Ferien mit seinem Sohn. «Wenn Sie sich zuwenig ernst genommen fühlen», schreibt das Amt an Daniel K., «ist dies aufgrund Ihrer Parteistellung nicht unbedingt objektiv.» Daniel K. beantragt jetzt eine psychologische Begutachtung seiner Person, um seine Unschuld zu beweisen. Eine solche wird von der Vormundschaftsbehörde abgelehnt. K. erhielt die abschlägige Antwort nach drei Monaten. Begründung: Zuverlässige Methoden seien «der Wissenschaft nicht bekannt». Das kantonale Justizdepartement entscheidet: «Wenn auch offen bleiben muss, ob K. am Kind tatsächlich sexuelle Handlungen begangen hat, darf der Kindesmutter nicht zugemutet werden, gegen ihre Bedenken zu handeln.» K. schreibt an die Vormundschaftsbehörde seiner Gemeinde: «Ich will nicht weiter auf meinen Besuchsrechten bestehen; der Kleine soll nicht eingeschüchtert werden. Mit Xaviers Mutter will ich keine Gespräche mehr führen, solange sie sich noch für gesund hält.» Wenig später betont Chantal H., dass Xavier seinen Vater brauche; sie anerkenne, dass er zu seinem Vater «ein schönes Verhältnis» habe; sie möchte «neu anfangen». Notfalls ein Pornovorwurf Dies ändert schlagartig, nachdem K. über Nacht seine neue Freundin bei sich zu Gast hatte. Chantal H. erklärt, Daniel habe mit Xavier Pornofilme produziert. K. wird verhaftet. Seine Wohnung wird durchsucht. Die Polizeibeamtin, die Xavier befragt, gibt sich als Freundin von Chantal H. aus. Die Aktion ergibt nichts, was K. belasten könnte. 13. Januar 1998. K., geschäftlich in Schwierigkeiten, bekennt Zahlungsunfähigkeit vor der Gemeinde und beantragt Alimentenbevorschussung. Am selben Tag verbietet die Vormundschaftsbehörde dem Vater den persönlichen und telefonischen Kontakt zu seinem Sohn. «Wenn Sie den Mut zur Wahrheit haben», schreibt K. der Behörde, «lassen Sie mich in Ihrer Gegenwart mit ihm sprechen.» Eine Antwort erhält er nicht. Etwas bleibt immer hängen Im März 1998 – drei Jahre nach den ersten Vorwürfen – wird eine Glaubwürdigkeitsgutachterin beigezogen. Die Beschuldigungen der Mutter kann sie nicht bestätigen. Von Xaviers Seite existierten, schreibt sie, «keine Bekundungen, die strafrechtlich verwertbar sind». Daniel K. schreibt Anfang Mai in sein Tagebuch: «Mit Xavier kurzes Gespräch im Coop. Seither kein Zeichen mehr von ihm.» Marianne Heer ist Staatsanwältin des Kantons Luzern. Derartige schwerwiegende Strafklagen liegen oft auf ihrem Pult. «Der Vorwurf einer sexuellen Misshandlung ist in jedem Fall ernst zu nehmen», sagt sie. Allerdings stellt sie im Rahmen von Scheidungsverfahren «zunehmend unberechtigte Vorwürfe» fest: «Es gehört heute schon fast zu den Sorgfaltspflichtverletzungen eines Scheidungsanwalts, wenn er diesen Vorwurf nicht ins Spiel bringt.» Eine Verzweiflungstat? Das letzte Mittel einer Mutter, «ihr» Kind zurückzugewinnen? Im Kanton Zürich konnten über 40 Prozent der diesbezüglichen Anklagen nicht aufgeklärt werden. Die Sozialbehörden, alarmiert von Dunkelziffern und gewiss zu Recht auf der Hut, sind bei den Abklärungen oft überfordert. Die Beweislage ist schwierig, die Zeugen sind fragil – und unschuldige Väter da wie dort auf verlorenem Posten. Daniel K., soviel wird deutlich, hatte als Angeklagter keine Chance. «Nicht nur Mütter werden schwanger – Paare werden es!» Das Wort stammt von einer deutschen Psychologin. Die Dauer einer Schwangerschaft ist absehbar; diejenige einer Beziehung nicht. Was bleibt, ist das Kind. Das neue Scheidungsrecht Im Jahr 2000 tritt das neue Scheidungsrecht in Kraft. Im wesentlichen wird darin die Anhörung des Kindes verankert. Im geltenden Gesetz entscheiden oft Richter und Anwalt über die «kleinen» Abwesenden: Der Verbleib der Kinder wird bis heute in der Regel festgelegt, ohne die Kinder auch nur anzuhören. Neu ab 2000: Beide Elternteile können ein gemeinsames Sorgerecht beantragen. Das klingt schön. Nur: Falls eine Partei dies verhindern will, kann sie dies ohne Begründung erreichen. Eine Scheidung ist eine Kapitulation, ein Abschied, eine Enttäuschung. Wer der oder dem «andern» das Leben danach schwer machen will, wird dies auch mit dem neuen Scheidungsrecht tun können. Auch wenn Kinder in Zukunft angehört werden sollen, stehen sie zwischen den Parteien und einem unlösbaren Konflikt: zwischen zwei Menschen, die noch immer ihr Vater und ihre Mutter sind. Man darf die Fragen, die die Kinder betreffen, nicht allein den Juristen überlassen. Die Mediation – zu deutsch: Vermittlung – bietet hier eine vielversprechende Alternative. In der Mediation lernen Paare – mit psychologischer Begleitung – etwas wieder, was sie irgendwann verlernt haben: miteinander zu reden. Es geht darum, abseits vom anwaltschaftlichen Kampf ein Einverständnis zu finden – und zwar um der Kinder willen. Auf dass diese verschont werden von den kleinen und größeren Kämpfen, die sich äußerlich um das Kind drehen, in Wahrheit aber auf den ehemaligen Partner zielen.