(c) Reformiert vom 25.3.2011. Von Anouk Holthuizen
Ums gemeinsame Sorgerecht kämpfen viele Väter vergebens. Nicht so Paul D. Er hat eine ebenso nahe Beziehung zu Tochter Laura wie seine Exfrau Iris B.
Verantwortung. Laura ist eines der wenigen Scheidungskinder der Schweiz, dessen Eltern sich nicht um Sorgerecht und Obhut streiten, sondern sich die Betreuung paritätisch teilen. Sogar beim schwierigen Thema Unterhaltszahlungen fanden sie sich in der Mitte. Denn den Eltern war trotz Schmerz über die misslungene Ehe klar: Eltern bleibt man ein Leben lang. Und: Ein Kind soll die Beziehung zu beiden Eltern unter allen Umständen leben dürfen. Iris B. erklärt: «Wir hatten vor der Scheidung im Bekanntenkreis miterlebt, wie Kinder unter der Trennung ihrer Eltern litten, weil diese sich nicht einigen konnten. Und wir schworen uns, dass unsere Tochter nie sowas mitmachen muss.» Laura erinnert sich nicht mehr daran, wie es war, als alle unter dem gleichen Dach wohnten. «Irgendwann hatte ich plötzlich zwei Zimmer», weiss sie nur noch.
Austausch. Als ihre Eltern sich trennten, war sie im Kindergartenalter. Um das Kind gemeinsam betreuen zu können, blieb Paul D. im Haus, und Iris B. suchte sich eine Wohnung in der gleichen Gemeinde. Ihrer Tochter zuliebe verzichtete sie später auf einen Umzug in die nahe Stadt. «Wir wollten Laura nicht aus ihrem Wohnort reissen», sagt der Vater. Zusammen mit einem gemeinsamen Anwalt überlegten sie, welches die beste Betreuungslösung ist. Paul D. konnte sein 100-Prozent-Pensum als Informatiker nicht reduzieren. Und so einigten sich die Eltern darauf, dass Laura an drei Wochenenden pro Monat plus an einem Wochentag bei ihm lebt, an den anderen bei der Mutter. Auch in Sachen Alimente fanden sie sich. Damit Iris B. nicht finanziell abhängig von ihrem Expartner blieb, begann sie, als selbstständige Schneiderin zu arbeiten. Ein Mal pro Monat trafen sich die Eltern für die Planung. Dabei tauschten sie sich über Ereignisse im Leben ihrer Tochter aus: Sie erzählten sich zum Beispiel, dass Laura jetzt Rollschuhfahren kann oder eine gute Schulnote geschrieben hatte. «So spürte Laura, dass wir uns ernsthaft für ihr Leben interessieren.»
Freiheit. Der Betreuungsplan änderte sich mehrmals. Je selbstständiger Laura wurde, desto öfter ging sie spontan beim Vater vorbei. Als sie neun Jahre alt war, zog seine neue Partnerin zu ihm. Von da an übernachtete Laura auch unter der Woche häufiger beim Vater. Heute wechselt sie manchmal täglich ihr Zimmer. Für sie ist das kein Problem: «Ich geniesse es, mal hier und mal dort zu schlafen. Wenn mein Vater und seine Partnerin zu streng sind, gehe ich einfach zur Mutter.» Grinsend schaut sie ihren Vater an: «Mühsam ist bloss meine schwere Schultasche, in die ich oft das Material für zwei Tage packen muss.» Im Dorf ist Laura das einzige der sieben Scheidungskinder ihres Jahrgangs, das den Vater häufig sieht. «Die anderen haben fast keinen Kontakt mehr», weiss sie.
Knackpunkte. Das alles hört sich wunderbar unkompliziert an. Gab es für die Eltern keine Knackpunkte? Doch, sagt Paul D. Für ihn sei es anfangs nicht einfach gewesen, immer kompromissbereit zu sein. Nachdem ihn seine Frau verlassen habe, sei er sehr verletzt gewesen. «Ich musste manchmal über meinen Schatten springen», erinnert er sich. Iris B. fand es wiederum schwierig, als mit der neuen Partnerin ihres Exmannes plötzlich eine dritte Person in der Betreuung mitredete – bis sie realisierte, «dass sie mir nicht meine Mutterrolle streitig macht, sondern eine weitere Bezugsperson für meine Tochter ist, von der diese profitiert.» Iris B. fügt an: «Niemand ist so perfekt, dass er die Erziehung eines Kindes für sich allein beanspruchen kann.» Inzwischen ist auch in ihr Haus ein neuer Mann eingezogen.
Gleichstellung. Mutter, Vater und Tochter können nicht verstehen, dass für Eltern nach der Trennung nicht automatisch das gemeinsame Sorgerecht gilt. Paul D. kritisiert: «So gibt man den Männern zu verstehen, dass sie sich weniger gut als Eltern eignen». Das zeige sich auch beim mickrigen Vaterschaftsurlaub oder den mangelnden Möglichkeiten für Väter, Teilzeit zu arbeiten. «Dabei sind Männer und Frauen vor dem Gesetz gleichgestellt», ergänzt Iris B. Und Laura fügt an: «Egal, wie das Gesetz ist: Ich verstehe nicht, dass so viele Eltern es nicht so hinbekommen, dass es für alle stimmt – vor allem für die Kinder.» Anouk Holthuizen
Neuregelung SorgerechtIm Rahmen der Revision des Zivilgesetzbuches soll die gemeinsame elterliche Sorge für geschiedene und nicht miteinander verheiratete Eltern zur Regel werden. In der gängigen Schweizer Praxis wird das gemeinsame Sorgerecht nur auf Antrag erteilt und nur dann, wenn beide Eltern einverstanden sind.
Die seit sechs Jahren laufenden Vorbereitungen zur entsprechenden Vorlage wurden im Januar vom Bundesrat gestoppt, da zusätzlich unterhaltsrechtliche Fragen in die Diskussion einfliessen sollen. Auf die Verzögerung reagierten zahlreiche Väter und Väterorganisationen mit scharfer Kritik.
Am 15. April findet nun gemäss Ankündigung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) ein runder Tisch zur gemeinsamen elterlichen Verantwortung statt, an dem Vertreterin- nen und Vertreter verschiedener Mütter-, Väter-, Familien- und Kinderschutzorganisationen teilnehmen werden.