Das Magazin – 02.01.2009 von Mathias Ninck
Wenn Paare sich scheiden lassen, erhalten meistens die Mütter das Sorgerecht. Viele Väter sind daher frustriert. Der Bundesrat will ihnen jetzt mit einem neuen Gesetz helfen. Und gibt den Vätern mehr Einfluss. Hat er sich das gut überlegt?
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Die Kohlers sind eine ordentliche Familie. Ja, richtig ordentlich sind sie und durchorganisiert und systematisch. Und doch, die Kohlers leben in einem Nest. So nennen sie es, und das klingt natürlich ein wenig nach Durcheinander, nach herumliegenden Stofftieren, nach umge-kippten Schultheken, verstreuten Farbstiften und Strumpfhosen, das riecht nach der warmen Muffigkeit einer Familie, die sich tapfer und vergeblich der ewigen Kraft der Unordnung entgegenstemmt.
In dem kleinen unspektakulären Einfamilienhaus, weiss gestrichen, mit Steinplatten und frisiertem Buchsbaum davor und einem Wintergarten dahinter, sauber aufgereiht neben sieben identischen Häusern, irgendwo in der Agglomeration zwischen Baden und Basel, liegt aber kaum etwas herum. Kein Buch, keine Spielsachen, kein Verschönerungs-Schnickschnack, weder Blumen noch Fotos oder Kinderzeichnungen. Eine Kerze, das ja. An der Wand die Stundenpläne der drei Kinder. Die Stube: ein Esstisch, sechs Stühle, ein Regal. Die Vorhänge haben ein lila Blumenmuster. In den Kinderzimmern: Bett, Pult, Einbauschrank. Beim Jüngsten, dem zehnjährigen Sven, immerhin, verweist etwas unübersehbar auf eine Leidenschaft; an der Wand hängt das Poster von Fernando Torres, dem Spitzenfussballer beim FC Liverpool. Die Nüchternheit dieses «Nests» ist wohl der Tatsache geschuldet, dass die Wohnung praktikabel sein muss: Gion und Denise Kohler (die in Wirklichkeit anders heissen), die Eltern, fliegen wie Vögel ein und aus und versorgen abwechselnd die Jungen mit Futter und Zuneigung. Vor zwei Jahren, ein paar Monate nach ihrer Trennung, haben sie das so eingerichtet, haben das «Nestmodell» gewählt, wie es die Juristen nennen. Die Eltern sind ausgezogen, jeder in eine eigene, billige Einzimmerwohnung, die Kinder blieben, wo sie immer waren. Ist der Vater dran, zieht er zu den Kindern, kocht und putzt und wäscht, und dann packt er seinen Rucksack und geht wieder, während Denise auf dem Velo sitzt und aus Lenzburg anreist. Manchmal kommen mit den Eltern die neuen Partner mit, es ist ein Ein und Aus, vier Erwachsene und drei Kinder, die in wechselnder Formation in dem Haus zusammenleben. Im März 1994 hat Gion Kohler in der Zeitung eine Annonce aufgegeben. Suche Leute zwischen 25 und 40 für Hochgebirgstouren. Er war 30 Jahre alt. Zehn Leute meldeten sich, darunter die damals 24-jährige Denise, im Sommer darauf war sie schwanger. Hochzeit im Februar 1995, «es war eine Hochzeit in Weiss», sagt sie, «es lag haufenweise Schnee». Gion und Denise sitzen am Stubentisch, ein eiskalter Nachmittag im November, schwärmerisch erzählt sie von dieser Hochzeit im Berghotel Waldhof, von den «vielen schönen Produktionen», vom Gedicht ihrer Schwester… Da unterbricht er sie mitten im Satz: «Bist du verlobt?» Sie senkt den Blick auf ihre rechte Hand. «Nein, es ist ein Freundschaftsring. Hast du den jetzt zum ersten Mal gesehen?» «Den sehe ich zum ersten Mal.» «Hab ihn auch ganz neu.» Sie schauen sich an. «Ich möchte dann nicht zu spät sein mit Gratulieren», sagt er trocken. Da wiehert sie vor Lachen und sagt: «Herrgott, du bisch eine.» Im Herbst 2008 hat das Gericht die Kohlers geschieden, seit drei Wochen ist das Urteil rechtskräftig. Die Ehe ist vorbei, vierzehn Jahre nachdem sie im Obertoggenburger Schneegestöber mit fröhlichem Tamtam begonnen hatte. Jetzt könnten die beiden ihrer Wege gehen. Doch sie tun es nicht. Sie bleiben für die nächsten sieben, acht Jahre verbunden. Sie haben das gemeinsame Sorgerecht für ihre drei Kinder beantragt, zwei Buben und ein Mädchen, und damit signalisiert, dass der Bruch ihres Bündnisses nicht das Ende der Familie bedeutet. Und der Richter hat ihnen dieses Recht zugesprochen. Bis der Jüngste volljährig ist, werden sich Denise und Gion nun immer wieder zusammensetzen und die wichtigen Dinge ihrer Kinder gemeinsam regeln. Soll der Älteste weiterhin ins Eishockey-Training gehen? Wie viele Stunden pro Woche darf er am Computer sitzen? Wie viel Sackgeld bekommt die Tochter? Obwohl das vernünftig und verallgemeinerbar aussieht – die Kohlers sind doch ein Sonderfall. Das gemeinsame Sorgerecht erhält hierzulande nur jedes vierte Scheidungspaar. In der Mehrheit der übrigen Fälle wird der Mutter das alleinige Sorgerecht für die Kinder zugesprochen. Das derzeit gültige Scheidungsrecht schreibt dies vor: Der Richter überträgt das Sorgerecht einem Elternteil, in der Regel der Mutter, bei der die Kinder meistens auch wohnen. Nur wenn sich beide, Mutter und Vater, vor der Scheidung einigen und die «gemeinsame elterliche Sorge», wie sie im Juristendeutsch genannt wird, förmlich beantragen, kann der Richter von dieser Regel abweichen. Es braucht mit anderen Worten immer die Einwilligung der Mutter in die gemeinsame Sorge. Die Mütter haben damit einen Trumpf in der Hand: Wenn sie nicht wollen, haben die Väter nach der Scheidung bezüglich Kindererziehung nichts mehr zu sagen. Ist das gerecht? Die Frage beschäftigt die Juristen seit einem guten Jahrzehnt. Es war Ende der Neunzigerjahre, in einer Anwaltskanzlei in Schwyz, als zwei junge Anwälte aufeinander einredeten, mal ruhig, bald fiebrig, wochenlang. Damals wurde im eidgenössischen Parlament gerade das Scheidungsrecht überarbeitet, zentraler Punkt war die Frage, ob die gemeinsame elterliche Sorge möglich sein soll. Der eine Anwalt fand: Wenn die Eltern auseinandergehen, sind Streitereien über die Erziehung der Kinder absehbar. Der Zank geht immer weiter, weshalb es nötig ist, ein für alle Mal zu wissen, wer das Sagen hat. Es muss Ruhe einkehren! Der andere Anwalt hielt dagegen, das Ende einer Partnerschaft habe mit der Elternschaft nichts zu tun. «Man ist Mutter und Vater, egal, ob man sich liebt oder streitet. Es ist ein Job, den man 20 Jahre lang hat.» Er war ein Idealist, dieser Anwalt, und er sagte damals zu seinem eher nüchtern veranlagten Büropartner: «Väter und Mütter haben die Pflicht, als erwachsene Männer und Frauen sich im Interesse der Kinder aus ihren Schmerzen, ihrer Wut und aus dem ganzen Hass herauszuarbeiten. Sie müssen sich verständigen, sonst machen sie sich schuldig an den Kindern. Kinder haben das Recht auf eine gute Kindheit.» Er fand, das müsste eigentlich im Gesetz stehen. Geschlechterkrieg Entlastung Ein Guru werden Empörung, Wut Es ist Nie zu spät |
Stellungnahme von GeCoBi
Herzlichen Dank vorab für diesen gelungenen Artikel den ich mit grossem Interesse gelesen habe. Ich werde darin mit dem Satz zitiert, dass Männern das Sorgerecht als Trophäe diene, zum “an die Wand nageln”. Diese Aussage ist aus dem Zusammenhang gerissen und verzerrt das Bild dessen, was ich damit sagen wollte.
Die schweizerische Vereinigung für gemeinsame Elternschaft GeCoBi (www.gecobi.ch) hat es sich zum Ziel gemacht, die gemeinsame elterliche Verantwortung in der Gesellschaft zu verankern. Ein Schritt auf diesem Weg ist es, den bisherigen Modus der Sorgerechtszuteilung zu ändern. Es kann nicht angehen, dass ein Elternteil bei der Trennung rechtlich und faktisch aus dem Leben seiner Kinder ausgeschlossen wird, bloss weil das Gesetz die Zuteilung an ein Elternteil verlangt. Eltern bleiben nun mal Eltern, ganz egal, welcher Art ihre juristische Verbindung zueinander war, ist oder sein könnte. Den Kindern ist es herzlich egal, ob ihre Eltern nicht verheiratet, nie verheiratet oder nicht mehr verheiratet sind, es bleiben ihre Eltern, und zwar Beide!
Diese Tatsache muss sich auch im Gesetz widerspiegeln. Es geht nicht darum, den Vätern das Sorgerecht neu zu verleihen, dessen sollte man sich bewusst sein. Es geht vielmehr darum, es ihnen nicht länger zu entreissen. Beide Elternteile sollen das Sorgerecht behalten dürfen, ohne sich das explizit zu erkämpfen.
Und noch ein weit verbreitetes Missverständnis gilt es auszuräumen: Es geht hier keinesfalls um eine Geschlechterdebatte, auch wenn gewisse feministische Vertreterinnen genau auf dieser Schiene fahren.
Den Organisationen in GeCoBi geht es nicht darum, mehr Macht für die Männer zu erhalten, oder mehr Rechte, oder gar, den Müttern Macht weg zu nehmen.
Es geht vielmehr um die Loslösung von der Geschlechterdebatte hin zu einer Debatte darüber, was wohl das Beste für das Kind ist. Liselotte Staub ist eine der wenigen Fachleute, die erkannt haben, dass, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine bleibende Beziehung zu beiden Elternteilen zu den wichtigsten Dingen im Leben eines Kindes gehört. Diesen Anspruch des Kindes gilt es zu schützen. Und ich bin der Meinung, dass dieser Anspruch weit über die Grundrechte der Eltern auf freie Wohnungswahl und andere Freiheiten geht. Das unmündige Kind, welches sich nicht für sich selbst einsetzen kann muss durch den Gesetzgeber weit höher geschützt werden, als dies heute der Fall ist. Eine Mutter möchte ins Ausland ziehen? Bitte sehr – kein Problem, aber ihr Kind bleibt hier, zieht in dem Fall zum Vater und bleibt in seinem bisherigen Umfeld. Dies wird heute schon in einigen amerikanischen Staaten praktiziert. Das gemeinsame Sorgerecht ist kein Heilmittel, wie es im Artikel fälschlich bezeichnet wird. Es ist bestenfalls Ausgangslage für eine Zukunft, die dem Kind beide Elternteile erhalten kann. Es verhindert, wie Frau Staub richtig sagt, den “Kampf ums Kind” nachhaltig, da dieser Kampf vor Gericht keinerlei Relevanz mehr hat.
Wir haben die Schuldfrage aus dem Scheidungsrecht verbannt. Wir sollten nun auch noch die Eltern-Kind-Beziehung daraus entfernen, denn diese hat nun wirklich nichts mit der Scheidung der Eltern zu tun. Eltern lassen sich voneinander scheiden, nicht von ihren Kindern, das sollten wir nie vergessen. Kommentar von Max Peter, Bülach
Die Vorankündigung und der Titel des Beitrages ‘Im Namen des Kindes’ liessen in mir einige Hoffnungen aufkommen, sie wurden nur teilweise erfüllt. Dass darin BefürworterInnen und GegnerInnen zu Wort kommen, gehört zu den Selbstverständlichkeiten einer ausgewogenen Berichterstattung und lädt hoffentlich zur Diskussion ein. Dass die gemeinsame elterliche Sorge den Vätern (wo sind die betroffenen Mütter?) vor allem mehr Einfluss geben soll, empfinde ich hingegen als unzutreffend formuliert: es geht doch weder um Einflussnahme noch um Machtausübung, sondern schlicht darum, dass Mütter und Väter ihre elterliche Verantwortung gegenüber ihren Kindern auch nach der Scheidung ganz selbstverständlich als gleichwertige Menschen gemeinsam wahrnehmen können, auch wenn ihre Partnerbeziehung aufgelöst ist. Spätere neue Familienbildungen können nach meiner Überzeugung nur so gut funktionieren, wie es gelingt, alle für die Kinder wichtigen Bezugspersonen darin ihren Platz finden zu lassen. Im Artikel kommen die Kinder mit ihren Interessen und Rechten zu kurz. Leider ist der Fokus einseitig auf die Eltern gerichtet. Die jetzige Sorgerechts-Regelung befriedigt nicht. Sie ist mitverantwortlich für die nachehelichen Streitigkeiten zwischen Eltern. Sie schafft Gewinner und Verlierer und missachtet vor allem die Bedürfnisse und Rechte der Kinder nach gleichwertigen Beziehungen zu beiden Elternteilen. Kinder können nicht nachvollziehen, weshalb nach der Scheidung nur noch ein Elternteil offiziell für sie zuständig sein soll. Väter und Mütter, die mit der Scheidung von der elterlichen Mitverantwortung ausgeschlossen werden, fühlen sich ausgegrenzt. Sie erleben sich in ihrer Verantwortung und elterlichen Kompetenz eingeschränkt und ziehen sich nicht selten resigniert ganz zurück. Beteuerungen über die faktisch weiter bestehende gemeinsame Elternschaft empfinden sie als zynisch und Augenwischerei. Das gemeinsame Sorgerecht als Regelfall ist indessen meines Erachtens allein noch kein Garant für eine konfliktfreie nacheheliche Elternschaft. Familien dürften in Zeiten der Neuorientierung und der Neuregelung ihrer Beziehungen nicht allein gelassen werden. Der Übergang zwischen Loslassen und sich Einstellen auf Kommendes, noch Unbekanntes stellt Kinder und Erwachsene vor neue Herausforderungen, Konflikte gehören unweigerlich dazu. Die Gleichzeitigkeit von einander zum Teil widersprechenden Aufgabenstellungen, Interessen und Ansprüchen kann mindestens vorübergehend zur Missachtung oder Vernachlässigung des Kindeswohls führen. Begleitende, unterstützende, gesetzlich verankerte Angebote müssten deshalb unbedingt bereitgestellt werden. Eine Chance der gemeinsamen elterlichen Sorge könnte darin liegen, dass Scheidung für betroffene Kinder weniger einschneidende Folgen hätte und sie im Scheidungsgeschehen der Eltern eher in ihrer Kinderrolle verbleiben könnten. Verlustängste würden sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen reduziert, Entwicklungsstörungen wären weniger häufig und Affekthandlungen Erwachsener kämen nach meiner Einschätzung seltener vor. Eine auch gesetzlich bestätigte Gleichwertigkeit beider Elternteile würde Kinder zudem von Loyalitätskonflikten spürbar entlasten, und sie könnten es sich leisten, ihre Beziehung zu Mutter und Vater altersgemäss nach ihren eigenen Bedürfnissen zu gestalten und offen zu leben. Das Leben der Kinder würde in mancher Hinsicht ‚normalisiert’. Kinder könnten darüber hinaus modellhaft erleben, dass und wie Erwachsene ihre Konflikte trotz unterschiedlicher Meinungen und Haltungen regeln und ihre elterliche Verantwortung gemeinsam wahrnehmen. Max Peter, Familienmediator SVM/SDM, Fachexperte im Bereich hochstrittige Eltern in Trennungs- und Scheidungssituationen, 8180 Bülach |
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