Tagesanzeiger vom 6. August 2007

 

kinderzulagen
«Egalitäre Kinder» beurteilen ihr Modell positiver als «traditionelle Kinder» das ihre.
 
Das konservative Familienmodell mit der Mutter zu Hause scheint in der Schweiz wieder beliebter. Den Kindern bringt es aber mehr, wenn Eltern ihre Rollen partnerschaftlich teilen.

Von Andrea Fischer Als SVP-Präsident Ueli Maurer in einem Interview forderte, Mütter sollten sich wieder mehr um ihre Kinder kümmern statt ausser Haus zu arbeiten, erntete er dafür heftige Proteste. Doch nun scheint es, dass Maurers Sichtweise mehr Anhängerinnen findet als auch schon. Gemäss dem jüngsten SRG-Wahlbarometer finden 45 Prozent der Befragten, das Erziehen der Kinder sei Sache der Frau.

Die meisten Kinder sind zufrieden
Angesichts der anhaltenden Diskussion um die richtige Familienform, fragt sich, was die Kinder wollen. Welcher Familienform würden sie den Vorzug geben? Antworten liefert eine Nationalfondsstudie, in der sich erstmals Kinder zu dieser Frage äussern. Die Soziologin Margret Bürgisser und Ko-Autorin Diana Baumgarten haben insgesamt 70 Buben und Mädchen sowie junge Erwachsene zwischen 10 und 20 Jahren befragt. Darunter waren Kinder aus egalitär organisierten Familien, wo Vater und Mutter sich Beruf, Betreuung und Hausarbeit teilen, als auch solche aus traditionell organisierten Familien. Die Forscherinnen wollten wissen, wie die Söhne und Töchter das Rollenmodell ihrer Eltern beurteilen und welche Auswirkungen es auf sie hat.  
Vorweg genommen: Kinder akzeptieren grundsätzlich das Modell ihrer Eltern; sie kritisieren es nicht, es ist für sie ganz einfach normal. Fragt man sie hingegen, was sie denn vom jeweiligen Modell halten, so wird deutlich, dass das egalitäre Modell für die Kinder ein Gewinn ist. Auch beurteilen die «egalitären Kinder» ihr Modell positiver als die «traditionellen Kinder» das ihre.
Wunsch nach «weniger Mutter»
Am partnerschaftlichen Elternmodell schätzen Mädchen und Buben vor allem die Abwechslung; es bringt auch eine vielfältigere Beziehung zu den Eltern. Als besonders positiv heben sie hervor, mit dem Vater einen normalen Alltag leben zu können. «Der Vater ist in den egalitären Familien für seine Kinder ein verständnisvoller Gesprächspartner», hält die Studie fest. Genau das vermissen die Kinder aus traditionellen Familien. Deren Beziehung zum Vater ist viel weniger ausgeprägt, spielt er doch in ihrem Alltag eine geringere Rolle. Die fast ständig anwesende Mutter erleben vor allem Jugendliche als kontrollierend und hemmend für ihre Selbstständigkeit. Laut der Studie haben «die meisten traditionellen Kinder einen Wunsch nach weniger Mutter». Für die Forscherinnen sind die Resultate nicht überraschend. Die Kinderbefragung bestätigt zu grossen Teilen, was auf Grund ähnlicher Studien über Eltern anzunehmen war: Das partnerschaftliche Modell hat zahlreiche Vorteile. Nachteile, wie die «unklarere Aufteilung der familiären Rollen» fallen kaum ins Gewicht. Zu erwarten wäre auch, dass die Kinder für ihre eigene Zukunft das Rollenmuster der Eltern übernehmen. Die jungen Frauen und Männer aus egalitären Familien müssten also das partnerschaftliche Modell vorziehen. Und umgekehrt. Die Antwort auf diese Frage fällt indes nicht eindeutig aus. In den traditionellen Familien tendieren die Buben klar zum Modell ihrer Eltern; die Mädchen zeigen hingegen Sympathien für beide Lebensformen. In der Gruppe der «egalitären Kinder» bekennen sich die Mädchen unmissverständlich zu dieser Familienform. Für sie scheint das partnerschaftliche Modell «besonders Gewinn bringend» zu sein, bilanzieren die Forscherinnen. Die egalitär aufgewachsenen Buben äussern jedoch eher traditionelle Rollenvorstellungen. Nicht weil ihnen das egalitäre Modell letztlich doch nicht passe, präzisiert Studienautorin Margret Bürgisser. Vielmehr nähmen sie wahr, welche Belohnungen eine berufliche Karriere biete. Diesen Verlockungen zu widerstehen, falle jungen Männern schwer.
Hindernisse ausräumen
Entscheidend ist letztlich für Bürgisser der Befund, wonach die «Kinder sich dafür aussprechen, mit beiden Elternteilen einen aktiven Alltag leben zu können». Dies müssten sich werdende Eltern bewusst machen. Damit sich junge Erwachsene dann aber auch für das partnerschaftliche Modell entscheiden, seien die entsprechenden Hindernisse in Staat und Wirtschaft auszuräumen.
Margret Bürgisser, Diana Baumgarten: Kinder in unterschiedlichen Familienformen, Verlag Rüegger, Zürich/Chur, 2006